Es gibt einen Weg von Wietze nach Bullerbü!

Ich bin in den siebziger Jahren auf dem Land aufgewachsen und habe die uralte bäuerliche Kultur kurz vor ihrem Ende miterlebt. Deshalb fühle ich mich als Zeitzeugin aus einer anderen Welt, die gleichaltrige Stadtkinder nie kennengelernt haben. Die geblümten Schürzen und Kopftücher der alten Bäuerinnen, ihre schwieligen Hände, die Bauernhofküchen, wo die Hermanns und Antons zwischen Melken und Misten mit Pantoffeln, aber noch in Stallkleidung saßen und über Landwirtschaft redeten, als gäbe es nichts Anderes und nichts Wichtigeres auf der Welt als Kühe und Schweine.

Es war eine Welt, in der Kinder große Freiheit hatten (wenn sie nicht gerade beim Füttern oder beim Küheumtreiben helfen mussten). Die Kuhställe und Kornböden, die Maschinenscheunen und Werkstätten, die Kämpe und Felder, das alles war ein riesiges Outdoorgelände, das Helikopter-Eltern von heute ihren Kindern niemals ohne Aufsicht erlauben würden. Fast ein bisschen wie Bullerbü.

Der Niederländer Geert Mak hat in „Wie Gott verschwand aus Jorweerd“ beschrieben, wie der Wandel der Landwirtschaft das Dorfleben verändert hat, wie sich das Netz der Bauern, Schmiede, Bäcker und Handwerker aufgelöst hat, als die Lebensgemeinschaft Bauernhof verschwand.

Die Genügsamkeit der alten Bäuerinnen, der langsame gleichmäßige Schwung der Spazierstöcke der Männer, das alles schien mir sehr lange sehr altmodisch und nur noch von historischem Interesse. Die Welt meiner Großmutter.

Bis ich kapiert habe, dass die alten Leute vom Dorf Lehrmeister der Nachhaltigkeit waren.

Der Lifestyle der geblümten Küchenschürze – das kommt dem, was Niko Paech in „Befreiung vom Überfluss“ fordert, ziemlich nahe: Die alten Bäuerinnen und Bauern auf dem Dorf waren Prosumenten, die mit handwerklichem Können und im Austausch mit den Nachbarn viel von dem, was sie brauchten, selbst herstellten und reparierten. Und sie hatten die „Kraft zur Genügsamkeit“, die Niko Paech bei den Konsumenten heute vermisst.

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Er hat dann nicht gehalten, dieser Lifestyle. Zu viel Maloche, zu viele Schwielen, zu viel Rückenschmerzen. Zu schön, die Verlockungen der Moderne und die Forschrittsversprechen des Bauernverbands.

Und wir, die Kinder und Enkel, haben nicht verstanden, was wir alles hätten lernen können von den alten Tanten. Wie man Käse macht. Grünkohl anbaut. Hühner hält. Strümpfe strickt. Und zufrieden in den Abendhimmel guckt.

Wäre aber hilfreich zu wissen, heute, im globalen Konsum-Kapitalismus, wo wir wissen – und ignorieren – dass wir auf Kosten anderer leben. Wo wir am Ende einer langen und undurchsichtigen Wertschöpfungs- und Vernichtungskette immer mehr und immer schneller Verpackungen aufreißen und Dinge konsumieren, obwohl wir wissen, dass es nicht mehr lange so weiter geht mit der globalen Ressourcen-Plünderung.

„Konsumismus ist heute totalitär geworden und treibt die Selbstentmündigung dadurch voran, dass er die Verbraucher, also Sie, zu ihren eigentlichen Produkten macht, in dem er Sie mit immer neuen Wünschen ausstattet, Wünsche, von denen Sie vor kurzem nicht einmal ahnten, dass Sie sie jemals hegen würden.“

Das schreibt Harald Welzer in „Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand“ (aber so ähnlich steht es ja auch schon bei Adorno). Welzer fordert das Ende unserer Plünderungskultur, des „Extraktivismus“, und den Beginn der „reduktiven Moderne“. Er schlägt vor, dass wir uns dazu ein Bild ausmalen sollen, wie wir in Zukunft leben wollen, in einer Welt, die sich vom totalitären Konsumismus befreit hat und nicht länger anderen die Kosten für unseren Wohlstand aufbürdet.

Ich hab so ein Bild im Kopf, eines aus der Vergangenheit, das in die Zukunft weist. Und es sieht ein bisschen aus wie Bullerbü.