Die heilige italienische Küche als Quelle der Erkenntnis

Radio Colonia, die italienischsprachige Sendung des WDR, hat Ende der neunziger Jahre eine Mitmachsendung über das Kochen gemacht. Viele Exil-Italiener  haben angerufen und über den Verfall der italienischen Küche in Deutschland geklagt und aufgezählt, was sie alles schon an Scheußlichkeiten in italienischen Restaurants in Deutschland erlebt hatten. „Stellt euch vor, da gibt Ananas auf der Pizza!“, empörte sich eine Italienerin, mit Zittern und Abscheu in der Stimme. Und eine andere stimmte ihr zu: Sowas geht gar nicht. Denn: „La cucina è una cosa santa!“

Die Küche ist eine heilige Sache.

Hätte ich nicht kurz zuvor ein Jahr in Italien studiert, hätte die empörten Signore für verrückt erklärt. Aber ich hatte ja in Italien studiert und dort gelernt, was eine stolze traditionsbewusste Esskultur ist und wie gut es schmeckt, wenn die Küche wirklich für heilig erklärt wird.

Für uns deutsche Gaststudentinnen war das sehr praktisch, denn wir wurden in Küchenfragen qua Herkunft für so unfähig erklärt, dass wir bekocht werden und selbst keinen Finger rühren mussten.

Trotzdem habe ich es gewagt, einen Kochkurs in Italien zu machen. Bei Maria Luisa Scolastra in Umbrien. Sie kocht in ihrem Ristorante „Roncalli“ in der kleinen Stadt Foligno und ist in Deutschland bekannt, weil sie im Magazin der Süddeutschen Zeitung regelmässig ihre Rezepte vorstellt.

Nach Foligno pilgern nun die deutschen SZ-Leser, um zu lernen, wie das geht mit der  hohen Schule der heiligen italienischen Küche. Mit dem Linsenmus, den gefüllten Gnocchi und der Frittata mit den Steinpilzen. Alles, was dort auf den Küchentisch kommt, hat Ort, Namen, Herkunft und Geschichte. Und alles ist unverarbeitet. Zutaten aus dem Supermarkt aus der Plastiktüte sind völlig undenkbar.

Was Maria Luisa Scolastra dort mit ihrer Assistentin in der Küche zelebriert, hat ganz viel mit Ernährung und Landwirtschaft und Wertschöpfung und regionalen Wirtschaftskreisläufen und Nachhaltigkeit und Gesundheit und Entschleunigung und Genuß und überhaupt mit allem zu tun.

Das habe ich beim Nudelnausrollen gelernt: Um mit der Ernährungs- und der Agrarwende voranzukommen, braucht es genau so einen Tisch. Vollgeladen mit frischen regionalen Zutaten, kulinarisch verankert in jeweiligen Region. Und möglichst viele Leute, die zu dieser Tafelrunde eingeladen werden, um gemeinsam zu kochen und zu speisen. Und zu verstehen, warum gutes Essen gute und regionale  Zutaten braucht. Und warum die Erzeuger dieser Lebensmittel dafür gut bezahlt werden müssen.